Ist das irre und tut doch so gut!
Langsam begreife ich, dass ich eine Suchende auf der Suche nach einem Abenteuer bin. Mein Körper, mein seit Kindheitsgedenken unterdrückter Trieb, gibt den Weg vor. Ich folge mit meinem Willen, mit Glück, Mut und Verstand, mit Irrtümern, Hoffnungen, Bangen und Erwartungen, mit Wünschen, Träumen, Ängsten, Überwindung und Zweifeln.
Was mache ich hier? Warum bin ich zu ihm gekommen? Das gibt es doch alles gar nicht wirklich! Normale erwachsene Menschen, mitten im Leben stehend, die träumen nicht von neunschwänzigen Peitschen. Hatte mein Körper mir dafür nicht seinerzeit mehr als deutliche Signale gegeben? Ich brauche starke Impulse, hat mir mein Körper zu verstehen gegeben. Ich brauche Zuwendung, hat meine Seele mir zu verstehen gegeben. Nun ist die Fantasie erwacht und mein Körper verlangt mit jeder Faser nach Erfüllung. Er öffnet unverzüglich die Flasche Sekt und schenkt zwei Gläser ein. Dann geht es los.
ER kommt auf mich zu und grüßt durch das Fenster. Ich sehe in seine Augen. Sein Gesicht weckt augenblicklich Vertrauen in mir. Ich steige aus, dann ein „Hallo“ und ein Händedruck. Er zieht den Handschuh nicht aus und scheint etwas verwirrt über den Händedruck. Macht man die Begrüßung in dieser Szene gewöhnlich anders? Eine kurze Verlegenheitspause und dann geschieht auch schon die erste Ungeheuerlichkeit. Ich höre mich fragen: „Wie geht es weiter? Fahren wir mit deinem Auto?“ Bin ich verrückt geworden? Seit wann steige ich zu einem mir völlig fremden Mann ins Auto, noch dazu zu einem Spanker?
Nun stehe ich also nackt da. Nackt mit verbundenen Augen vor einem mir unbekannten Mann, in einer fremden Wohnung. Auf dem Tisch liegen Spielsachen, die ich gleich kennen lernen werde. Niemand weiß, wo ich bin. Ich muss verrückt sein. Ein Abenteuer ist immer verrückt. Tue einfach, was er sagt. Ich vertraue ihm doch schon seit einer Ewigkeit. Ja, seit der Ewigkeit, als wir uns auf dem Bahnhofsparkplatz in die Augen sahen. Wie lange ist das her? Wie heißt die kleine Straße, in der ich mich jetzt befinde? Welche Nummer hat das Haus? Ich versuche sachlich zu denken. Es gelingt mir nicht.
Ein wunderbarer Tag geht zu Ende. Sehr zufrieden fahre ich nachhause, summe leise die Melodien mit, die aus dem Autoradio an mein Ohr gelangen. Wann habe ich jemals eine Melodie mitgesummt? Es muss ewig her sein. Überhaupt scheint mein bisheriges Leben bereits eine halbe Ewigkeit hinter mir zu liegen. Das gibt es doch gar nicht! Gibt es doch!
Niemand weiß, wo ich bin!
“Wir fahren jetzt zu der Location, die ich bestellt habe“, sagt er wie selbstverständlich. Augenblicklich macht sich ein ungutes Gefühl in meiner Magengegend breit. Ich bin nicht zum Essen hergekommen, durchfährt mich ein Gedanke. Er hat die Rechnung bezahlt. Kann ich jetzt noch kneifen? Sicher kann ich das. Will ich es? Die Frage bleibt unbeantwortet. Zuerst fällt mir das Schild an der Wand ins Auge und mein Herz stockt. Die Buchstaben „bizarr“ verschwimmen mir vor den Augen. Da soll ich jetzt reingehen! Da gehe ich niemals rein!
Wir gehen durch einen Innenhof und durch den Hof hinter dem Innenhof. Was mache ich hier? Das kann nur ein Traum sein. Nicht ich gehe hier, hier geht jemand anderes, eine andere Petra. Ich bin eine verheiratete Frau Mitte der Fünfzig. Hier geht eine Frau, jung und abenteuerdurstig. Ich bin hier, um meine körperlichen Bedürfnisse auszuleben. Ist das normal? Genau das ist normal! Die gesellschaftlichen Normen bestimmen die Normalität. Würde es normal sein, sich nach einem Wochenende die Striemen gegenseitig zu zeigen, so käme kein Mensch auf die Idee, daran etwas bizarr zu finden.
Später liege ich erschöpft und glücklich auf dem Rücken, die Augen geschlossen, tief atmend genieße ich seine Streicheleinheiten. Es hat sich alles gelohnt. All die Angst, die Bedenken, die Zweifel waren unbegründet. Jedenfalls bin ich in diesem Moment davon überzeugt.
Warum?
Es war am Schluss, unser Ritual, wie wir es nennen, sollte die Session beenden. Das Ritual besteht aus einer vorher festgelegten Anzahl wirklich harter Rohrstockhiebe. „Du sagst stopp, wenn ich aufhören soll“, meint er lakonisch. Unwissend in dem Punkt, dass ich nicht wusste, dass ich nicht „stopp“ sagen kann, stimme ich zu. Es tat höllisch weh und ich hätte jederzeit aus dem Schlagbereich treten können oder eben „stopp“ sagen sollen. Ich konnte es nicht. Irgendwie habe ich dann so eine Handbewegung gemacht, die er als Ende deutete. Warum konnte ich nicht „stopp“ sagen? Ich weiß es nicht. Es hat irgendetwas mit absoluter Hingabe und grenzenlosem Vertrauen zu tun. Warum? Er ist ein Lumpenhund und ein großer Häuptling in einer Person.
Splitter einer Sommerromanze!
Noch einen Tag und er hat mir nicht geantwortet. Ob ich ihm schreibe, dass ich nicht kommen kann? Warum? Um Zeit zu gewinnen, um Abstand zu bekommen, den Rauch verwehen zu lassen? Warum sollte ich das tun? Ich will es erleben. Noch ganze sechs Stunden warten. Mir ist etwas schlecht. Krank? Quatsch! Es ist die Aufregung. Es ist ein Abenteuer.Er hat die Bullwhip geholt, verbindet mir die Augen und führt mich mitten auf seine Wiese. Da stehe ich nun in der Sonne und warte. Er tritt von der Seite an mich heran. „Hier darfst du nicht schreien.“ Ich nicke stumm. Dann verpasst er mir einige Hiebe mit der Bullwhip. Mein Mund öffnet sich, doch kein Laut entringt sich meiner Kehle. Ich bleibe stumm, ersticke den Schrei. In diesem Moment bewundere ich sein Vertrauen. Schließlich wohnt er hier, nicht ich. Aus welchem Grund ist er bereit dieses Risiko einzugehen? Er tritt direkt vor mich hin und sagt leise: „Gehen wir wieder rein.“ Weil ich immer noch mit verbundenen Augen dastehe, fühle ich mit meinen Händen nach seinem Kopf. Mit leichtem Druck versuche ich, ihn an mich zu ziehen. Er leistet Widerstand. So belasse ich einfach meine geöffneten Arme einladend. Er zögert einen Moment, dann nimmt er mich in die Arme und ich lege meine Hände um seinen Nacken. Da stehen wir nun in seinem Garten auf der Wiese in der Sonne und umarmen uns. Wenn ein Nachbar lüstern schauen würde, so wäre er oder sie in diesem Moment einfach nur neidisch auf uns, bin ich mir sicher.
Ich liebe diesen verdammten Scheißkerl!
Bruchteile von Sekunden vergehen, die zur gefühlten Ewigkeit werden. Ich fühle, wie mich der Abgrund hinabzieht. Dann! Endlich! Er legt den Rohrstock weg, nimmt mich in die Arme! Ich hauche mit erstickter Stimme ein „Danke“ und die Unendlichkeit sinkt in meine Seele. Er hält mich fest und atmet ganz tief ein. Er bekommt eine Erregung! Soll ich drauf eingehen, auf das, was ich gerade bei ihm spüren kann? Ich lasse es intuitiv bleiben. Der Moment ist zu schön für jegliche andere Regungen. Einfach nur ganz still genießen. Ich lehne meinen Kopf an seine Brust, fühle die Wärme seines Körpers, die Geborgenheit der Umarmung.
Warte es ab!
Werde ich jetzt gleich meiner neuen Liebe, der Neunschwänzigen, begegnen? Oder wird es eher eine Erfahrung „der anderen Art“ werden? Ja, diese neunschwänzige Peitsche! Ja, dieser Michael, dieser Meister! Dieser Mann ist immer für Überraschungen gut. Was denkt er sich? „Mal sehen, ob ich sie damit zum Aufgeben zwingen kann. Irgendwie werde ich es schaffen, dass Petra unser Codewort „stopp“ herausschreit. Dann habe ich sie in die Knie gezwungen. Vier Hiebe hat sie bereits bekommen. Ich habe zugeschlagen, so hart, wie es mir möglich war. Sie sagt einfach NICHT „Stopp“! Warum sagt sie nicht „Stopp“? Bereits nach dem dritten Hieb windet sie sich unglaublich und schreit ihren Schmerz heraus. Auch ich kann erst mal nicht mehr weiter. Es ist nicht körperlicher Erschöpfung, nein, es erregt mich innerlich ungemein! Es erregt mich so, wie wenn man einen gefährlichen Weg entlang eines Abgrundes geht. Ich bin voll konzentriert, darf keinen Hieb daneben setzen. Die Wirkung jedes Hiebes ist unglaublich und der Schrei markerschütternd. Der Abgrund ist entsetzlich tief, zieht mich hinunter, doch jeder Schritt muss genau überlegt werden. Noch ein Hieb! Meine Hände beginnen zu zittern, das Herz rast. Ich stürze ein Glas Sekt hinunter. Petra steht derweil still und abwartend am Türpfosten. Hat diese Frau Nerven! Das ist unglaublich! Jedes andere Weibsstück würde spätestens jetzt zetern oder um Gnade flehen. Diese verdammte Petra wartet einfach ab! Sie heult nicht! Sie steht einfach still und abwartet da. Es ist unglaublich, aber wahr! Sie hat all meinen Respekt verdient. Was wird sie jetzt denken und fühlen?“
Alle Anspannung löst sich. Fühlen sich so Siege an? Nach allen Kämpfen, Ängsten, Schmerzen, schließlich der Sieg? Eigentlich sind wir damit zu wirklichen Gefährten geworden. Gefährten, die gefährliche Wege über Abgründe gehen könnten. Tun wir es auch? Seine Antwort?